Unsere Institutsleitung über AM-Trends, Herausforderungen und die DNA des Fraunhofer IAPT

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Seit April 2022 leitet Prof. Dr. Ingomar Kelbassa das Fraunhofer IAPT. Was hat sich seitdem verändert?

Frank Beckmann: Ingo hat eine Kultur der Beteiligung etabliert. Abteilungsleitungen, Gruppenleitungen und Zukunftsfeldleitungen haben großen Spielraum erhalten, das Institut mitzugestalten und ihren Bereich zum Erfolg zu bringen. Das ist Freiheit und Verantwortung zugleich.

 

Prof.Dr. Ingomar Kelbassa: Es geht um flache Hierarchien und Diskussionsbereitschaft. Ich möchte jeden und jede ermutigen, sich nicht nur in die Themensetzung dieses Hauses, sondern auch in das menschliche Miteinander einzubringen. Nennen wir es New Work oder Empowerment – es hat uns geholfen, trotz Fluktuation und Fachkräftemangel unsere Expertise und unser Know-how sowohl qualitativ als auch quantitativ zu halten und selektiv sogar auszubauen. Momentan wachsen wir zwar noch nicht, aber wir konnten unser Niveau festigen und insbesondere unsere Industrierelevanz steigern.

Was erwartet Auftraggeber heute am Fraunhofer IAPT?

Frank Beckmann: Das Institut hat eine stringentere Ausrichtung auf die Industrialisierung von AM-Fertigungsrouten für gesellschaftlich relevante Endanwendungsfelder erhalten. Es ist uns gelungen, signifikant größere Industrievorhaben zu realisieren. Unser Fokus liegt heute weniger auf der Quantität der Projekte, sondern mehr auf der Qualität und Größe der einzelnen Industrievorhaben. Dabei begegnen wir auch unseren externen Partnern und Auftraggebern auf Augenhöhe.

 

Prof. Dr. Ingomar Kelbassa: Ob öffentlicher Kunde, wie ein BMBF, ein BMWK oder im universitären Umfeld eine DFG, ob Student oder Studentin, oder – wie im ureigensten Sinne der Fraunhofer-Gesellschaft – ein Auftraggeber aus der Industrie: Wir nehmen alle Herausforderungen ernst und bieten industrielle Lösungen an. Wir wollen als Team gemeinsam die Zukunft gestalten.

Entscheidend ist, die Verwertung im Bereich 3D-Druck und AM-Fertigungsrouten in Deutschland nicht nur zu halten, sondern unsere Wettbewerbsfähigkeit explizit auszubauen. Die Wertschöpfung von AM im industriellen Umfeld muss in Deutschland generiert, kreiert und weltweit exportiert werden.

Wie unterstützt das Fraunhofer IAPT die industrielle Wertschöpfung des 3D-Drucks?

Prof. Dr. Ingomar Kelbassa: AM ist eine digitale Produktionstechnologie. Du kannst CAD-Daten nehmen, in verschiedene Schichten slicen, über den Post Prozessor übersetzen und an die Anlage übergeben. Dann drückst Du auf den Knopf und baust das Produkt auf. Wenn AM jeden Endanwender und auch jeden Verbraucher in die Lage versetzt, selbst zum Produzenten zu werden – also zum sogenannten Prosumer: Wem verkaufst Du Dein Know-how, Deine Expertise dann noch? Das ist ja quasi eine Konvertierung eines klassi[1]schen, produktgetriebenen Vertriebs hin zu einem rein digitalen Geschäftsmodell.

 

Frank Beckmann: Wenn wir noch weiter[1]gehen, kann jedes CAD-File, unbegrenzt oft gedruckt werden. Eigentlich will ich also das Recht verkaufen, diese Daten nur einmal zu drucken. Dafür entwickeln wir beispielsweise digitale Lösungen – Sicherheitslösungen basie[1]rend auf Block Chain und so weiter.

Wir geben unseren Auftraggebern aus der Industrie nicht nur das technologische Know-how mit auf den Weg, sondern auch Business Insights und Ideen: Wie kann ich ein Bauteil am schnellsten und kostengünstigsten herstellen? Wem verkaufe ich es dann und wie?

 

Prof. Dr. Ingomar Kelbassa: Mit unserem ganzheitlichen Blick auf industrielle Wertschöpfungsketten sind wir Unternehmen wie KPMG, PricewaterhouseCoopers oder McKinsey voraus. Wir verfügen über das Technologie- sowie Geschäftsverständnis, mit dem wir Fragen der Zukunft antizipieren und schon heute die Antworten von morgen liefern.

Wo seht Ihr die gesellschaftliche Relevanz der Forschung am Fraunhofer IAPT?

Frank Beckmann: In unseren bis dato vier Zukunftsfeldern: Hier adressieren wir Themenfelder wie Security und Defense und damit beispielsweise die seit Februar 2022 geänderte Sicherheitslage. Das Zukunftsfeld Life Science beantwortet den demografischen Wandel als große gesellschaftliche Herausforderung. Und neben dem Zukunftsfeld Energy befassen wir uns mit Mobilität. Das können wir in Hamburg besonders gut spielen – zu Lande, zu Wasser, in der Luft.

 

Prof. Dr. Ingomar Kelbassa: Wir befinden uns in der Metropolregion Hamburg an einem weltweit einzigartigen Standort: Wir haben hier den Überseehafen. Wir haben hier die Deutsche Bahn. Wir haben hier Automobilbau. Wir haben mit Airbus und Lufthansa Technik Fortbewegung in der Luft und sogar Unternehmen aus der Raumfahrt. Dazu kommen Kooperationen mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie zum Beispiel Leibniz oder Helmholtz und DESY. Weiter geht es mit universitären Partnern, angefangen bei der TU Hamburg über die Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr zur HAW und Uni Hamburg. Wir haben hier alles, um einen Leuchtturm der Industrialisierung von AM-Fertigungsrouten zu schaffen. Ich behaupte, das hat kein anderer Standort auf der Welt! 

Ist AM also eine Schlüsseltechnologie?

Prof. Dr. Ingomar Kelbassa: Für mich persönlich ist AM noch keine Schlüsseltechnologie, sondern auf dem besten Weg eine zu werden. Das Problem dabei ist, dass Deutschland und Europa AM noch nicht als künftige Schlüsseltechnologie sehen. China und die USA haben es bereits erkannt und sind uns hier dicht auf den Fersen. Als Fraunhofer IAPT plädieren wir dafür, mit deutschen und europäischen Partnern die Verwertungschancen in Europa und insbesondere in Deutschland auszubauen und die Marktführerschaft nicht abzugeben an China oder die USA.

Als Hochlohnland können wir nur dann unsere Marktführerschaft in der Fertigung und Produktion halten, wenn wir mit unseren Innovationen schlichtweg schneller sind als alle anderen. Es darf uns als Volkswirtschaft nicht wieder passieren, dass bahnbrechende Technologien zwar in Deutschland erfunden, aber nicht in Deutschland innoviert und verwertet werden: Es darf kein Transrapid 2.0, kein Photovoltaik 2.0, kein OLED 2.0 mehr geben. Unser bescheidener Beitrag liegt darin, unsere Industrie in die Lage zu versetzen, AM gewinnbringend in die Wertschöpfung durch Produktion einzubringen. Das ist unsere Mission.

Und in Puncto Nachhaltigkeit?

Frank Beckmann: Da laufen bei uns auch große Initiativen. Wir gucken uns an, wie wir die AM-Fertigungsroute nachhaltiger gestalten. Was sind die Hebel? Wo liegen die Haupt-CO2-Emissionsquellen oder die Punkte, an denen wir noch nicht optimal unterwegs sind? Das erfassen wir, um die Prozesskette im zweiten Schritt zu optimieren.

Der weitere und größere Hebel liegt in den Produkten: Die sparen über ihren Lebenszyklus immense Ressourcen. Zum Beispiel spart ein Leichtbauteil in der Luftfahrtindustrie enorm viel Kerosin ein und hat damit einen noch viel größeren Hebel als die Prozesskette. Dafür gibt es diverse Beispiele. Ingo hat beispielsweise eine umfangreiche Historie im Thema Gasturbinen. Hier verbrennen wir momentan Erdgas, insbesondere ergo Methan, also CH4. Solche Turbinen wären mit den klassischen Gussfertigungsrouten gar nicht mehr darstellbar.

 

Prof. Dr. Ingomar Kelbassa: Wichtig ist, dass wir es in der Wasserstoffwirtschaft und bei der (Re)Elektrifizierung von Wasserstoff dahin bringen, auch Wasserstoff H2 oder Ammoniak NH3 flexibel (mit)verbrennen zu können. Wasserstoff verbrennt bei circa 200 Kelvin höheren Temperaturen als Erdgas. Das kann eine heutige Gasturbine schlicht und ergreifend thermomechanisch nicht aushalten.

Das heißt, Ingenieure müssen den gesamten Heißgaspfad – von der Brennkammer bis hin zu den ersten beiden Hochdruckturbinenstufen – neu- oder rekonstruieren, und diese neuen Komponenten nachher fertigungstechnologisch darstellen: Das geht ohne AM nicht mehr.

Was ist der nächste große Schritt auf dem Weg zum industriellen Einsatz von AM?

Frank Beckmann: Wir müssen auf jeden Fall weg von der Stand-Alone-Technologie, bei der irgendwo eine Anlage singulär für Prototypen oder Einzelteile betrieben wird, und hin zu einer vollständigen Integration in Fabrikstrukturen. Außerdem ist die Additive Fertigung teilweise noch eine recht händische und wenig automatisierte Fertigungsroute. In unserem geplanten Neubau wollen wir komplett automatisierte, durchgehende Prozessketten für Kunststoff und für Metall abbilden – sowohl physisch als auch in der digitalen Prozesskette.

 

Prof. Dr. Ingomar Kelbassa: Der Trend geht klar in Richtung Virtualisierung. Sonst könnte ich nur einzelne Prozessschritte autark optimieren und nicht die komplette AM-Fertigungsroute, also End-to-End. Der zweite Megatrend ist definitiv die Automatisierung. Und der dritte Trend muss Resilienz sein: Gemeint ist, dass wir nicht nur die horizontale Prozesskette vom Design bis hin zum fertigen Endprodukt betrachten, sondern auch den CO2-Footprint des Produkt-Lifecycles. Und, dass wir die Supply Chain mit Tier eins und Tier zwei, unabhängig von Drittstaaten, resilient ausbauen. Wir müssen alles – von der Rohmaterial-Erzeugung bis hin zum fertigen Endprodukt inklusive MRO (Anmerkung der Redaktion: Maintenance Repair Overall, also Reparatur, Instandhaltung, Instandsetzung) des Bauteils und bis zum Recycling – selbst vor Ort durchführen können.

In unserer Initiative IAMHH® widmen sich zwei von drei Pilotprojekten dem Aufbau einer resilienten AM-Infrastruktur vor Ort. Einmal eine deutschlandweite End-to-End Darlegung – also vom Design bis hin zum fertigen Endprodukt inklusive Lifecycle. Im zweiten Projekt bilden wir den kompletten Lifecycle sogar lokal auf dem Hamburger Stadtgebiet ab. Wir haben vor, das Ganze für zwei Materialien zu demonstrieren, deutschlandweit für Metall, lokal in Hamburg für Kunststoff.

Ich glaube, wenn man diese Erfolgsgeschichte einmal geschrieben hat, motiviert das, in Richtung dezentrale, automatisierte Produktion zu gehen. Und natürlich ist die Motivation signifikant größer, wenn man gleichzeitig zeigen kann: Ich brauche mit der Fertigung von Bauteilen mittels einer AM-Fertigungsroute signifikant weniger Rohmaterial zur Erzeugung dieses Produktes. Und ich brauche signifikant weniger Energie. Und am Ende des Tages zeigt sich die AM-Fertigungsroute im Benchmark-Vergleich zu jeglicher Art der konventionellen Fertigung potenziell sogar als die mit Blick auf den CO2-Footprint nachhaltigste und dazu günstigste Lösung.

Wenn die Produktivität dargestellt ist, wird jeder produzierende Betrieb der Welt sich zumindest mit AM befassen, AM komplementär zur konventionellen Fertigung einsetzen oder sogar in Gänze auf AM umschwenken. Da steuern wir hin: Zu einer »grünen Fertigung « mit AM.